Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (2024)

Anzeige

Die Werbebotschafterin der Kosmetikfirma M. Asam sitzt barfuß auf einem Stuhl. Gleich wird sie sich live die Füße eincremen. „Die Creme mit patentiertem Traubenkomplex gibt es nur noch heute“, spricht sie eindringlich in die Kamera des Shoppingsenders QVC. Besonders bei Krampfadern und Wassereinlagerungen in den Beinen sei das Produkt hilfreich. Auch der Moderator neben ihr schmiert sich ein und sagt in einem fast schon drohenden Ton: „Wir werden heute nicht mehr jede Kundin glücklich machen können.“

Anzeige

Zu Hause im Ruhrgebiet sitzt Melanie M. vor dem Fernseher. Es ist Sonntag, in Ennepetal scheint die Sonne. Melanie M. überlegt. Sie hat die Fußcreme schon öfter gekauft – soll sie wieder zuschlagen? Melanie M. öffnet die QVC-App auf dem Handy. Auf dem Fernsehbildschirm blinkt nun groß und rot „BEGRENZT“. Sie schiebt die Creme in den Warenkorb. „Weil sie so schön in die Haut einzieht“, wie sie später sagen wird.

Rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr

Teleshopping ist nicht tot. Teleshopping lebt. Und macht weiter unnachahmliche Teleshopping-Dinge. Emotionale Ansprache, künstliche Verknappung und Zeitdruck bringen Zuschauer jeden Tag rund um die Uhr in den Adrenalinrausch. Ein TV-Programm wie ein belebter Wochenmarkt: Verkäufer quasseln sich den Mund fusselig, neben Pfannenwendern und Teelichthaltern werden Gartengeräte und Freizeitkleidung feilgeboten – das angepriesene Sortiment wechselt meist im Stundenrhythmus.

Anzeige

Knapp 2,3 Milliarden Euro hat die deutsche Teleshopping-Branche im Jahr 2022 eingenommen. QVC (die Abkürzung steht für „Quality, Value, Convenience“) ist mit 725 Millionen Euro Umsatz der Marktführer, aber auch die Konkurrenz HSE, Juwel TV und Channel 21 freuen sich über hohe Erlöse. Wie kann das heute noch sein, wo doch Amazon, Zalando und algorithmisierte Instagram-Werbung ein bequemeres Kauferlebnis versprechen?

Melanie M. ist seit 25 Jahren Homeshopping-Kundin, mehr als ihr halbes Leben lang. Ihren vollen Namen möchte sie nicht öffentlich preisgeben. Die 43-jährige Finanzbeamtin bestellt mehrmals die Woche – von Bettwäsche bis Badeöl hat sie sich schon alles Mögliche liefern lassen: „Wenn ich zu Hause alles wegräumen müsste, was von QVC ist, würde es karg aussehen.“ Anfangs hat sie telefonisch bestellt, seit knapp zehn Jahren shoppt sie per App, schaut aber nebenbei Fernsehen. Im Gespräch wirkt Melanie M. lebensfroh und aufgeschlossen. Über Internetforen hat sie Freundschaften mit anderen Kundinnen geschlossen, von den Moderatoren kennt sie private Details wie den Familienstand: „Das ist alles eine Art Familie, auch wenn das komisch klingt.“

Moderator Volker Kirst lehnt sich im Konferenzraum des Düsseldorfer QVC-Studios entspannt zurück. Er ist gesprächig und hat ein selbstgewisses Fernsehlächeln. Seine Haut ist braun gebrannt, die Zähne glänzen weiß. Der 55-Jährige steht seit 1996 für QVC vor der Kamera. Es ist das Jahr, in dem das amerikanische Unternehmen erstmals auch in Deutschland sendet. Die Studios sind noch etwas provisorisch, die Ansprache hölzern. Kirst fliegt zu seinen Kollegen in die USA und ahnt, wohin die Reise gehen könnte: „Da habe ich gesehen, was für ein Potenzial Teleshopping hat. Und dass es sich lange halten kann.“

Anzeige

Die 90er-Jahre haben die deutsche Fernsehlandschaft entfesselt. Privatsender gab es zwar schon in den 80ern, doch nun kommen immer neue Spartenprogramme hinzu. Das Fernsehen wird zur Spielwiese für dubiose Geschäftsideen. Beim Herumzappen stößt man fortan auf Pay-TV, Erotiksender und Teleshopping. Politiker fürchten einen Verfall der Sitten. Bundespräsident Roman Herzog meckert über die „Banalisierung und Trivialisierung“ des Fernsehprogramms, welches „die Hirne kaputt“ mache.

Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (2)

Wenn derlei Kritik Volker Kirst wirklich gestört hätte, wäre er nicht schon seit 28 Jahren dabei. Der Spaß an Unterhaltung zog ihn auf die Bühne. Kirst war Conferencier bei Modenschauen, dann Chefanimateur in Ferienclubs. Eine Castingagentur in Deutschland flüsterte ihm dann zu: Da kommt ein neuer Fernsehsender aus den USA, vielleicht ist das etwas? Kirst ist seitdem eines der bekanntesten Gesichter des Senders. An diesem Donnerstag Ende Mai verkauft er Fahrräder. Kirst radelt auf einem E-Bike durchs Studio. Er schaltet die elektrischen Gänge hoch: „Das ist ein neues Lebensgefühl!“ Er lässt sich sogar zu diesem Satz hinreißen: „Ein Traum wird wahr.“

Man darf wohl keine Angst vor Theatralik haben, um den Job zu machen. Doch – und das ist kurios – Kirst hat nicht das Gefühl, den Zuschauern etwas vorzumachen. „Die Leute meinen immer, man müsste beim Teleshopping eine Rolle spielen. Spielen ist nicht, das Authentische ist gefragt. Kurz nach meinem Jobbeginn sagte der Producer zu mir: Entweder du bist jetzt endlich mal du selbst oder du kannst gehen.“ Auf die Nachfrage, was er dann mache, wenn er ein Produkt mal wirklich schrecklich fände, weicht er clever aus: Es gebe für alles eine Kundin.

Warum wir was kaufen

Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (3)

Psychologie des Geldes

Sparer, Genießer, Schamhafte – Wie Gefühle unseren Umgang mit Geld bestimmen

Anzeige

Anzeige

Wer bei Amazon und anderen Onlinehändlern einkauft, sucht etwas Bestimmtes. Teleshopping schafft Bedürfnisse, die es vorher nicht gab. Eigentlich war das Leben bislang in Ordnung, auch das Trocknen der Wäsche lief reibungslos. Aber nun gibt es beim Dauerwerbesender diesen kompakten Wäscheständer, der beim Aufklappen plötzlich riesengroß wird und drei Waschladungen gleichzeitig trägt, Sockenhalter inklusive.

Wärmendes Gefühl, gesehen zu werden

„Man lernt beim Teleshopping Dinge kennen, von denen man noch nie gehört hat“, analysiert Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher von der Universität Hamburg amüsiert. Seit 40 Jahren erforscht sie die deutsche Fernsehlandschaft, zu Hause bleibt sie immer wieder bei Dauerwerbesendungen hängen: „Es ist faszinierend, dass die Moderatoren so ernst bleiben können. Ich würde Lachkrämpfe kriegen.“ Auch für die visuelle Aufmachung hat sie ein vergiftetes Lob übrig: „Die Kameraleute beim Teleshopping haben einen Oscar verdient. Die furchtbarsten Klamotten und schlimmsten Schmuckstücke und werden so inszeniert, dass sie wunderschön aussehen.“

Aus medienwissenschaftlicher Sicht gebe es aber gute Gründe, warum Teleshopping heute noch funktioniere, betont Bleicher: „Es ist eine Form der direkten Ansprache, die scheinbar auf persönliche Bedürfnisse eingeht. So entsteht eine parasoziale Interaktion.“ QVC-Kunden schicken immer wieder Fotos von ihren Einkäufen per WhatsApp ins Studio. Die Nachrichten werden live eingeblendet und von den Moderatoren vorgelesen. Die Zuschauer bekommen so das wärmende Gefühl, dass sie gesehen werden. Einige von ihnen suchen engeren Kontakt zu den Moderatoren. Volker Kirst hat von einer Frau mal über 50 Briefe bekommen, obwohl er schon nach dem zweiten nicht mehr geantwortet hat.

Unvergleichliche Einblicke

Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (4)

Liebesbriefe

In diesem Archiv liegen Korrespondenzen voller Liebe

„Das lineare Fernsehen hat eine Veränderung erfahren und wir mussten mitgehen“, sagt eine Unternehmenssprecherin, als sie stolz die Regieräume zeigt. Auf den Bildschirmen daheim flackern seit einigen Jahren QR-Codes zu Produkten, die Mehrheit der Kunden bestellt längst digital. Medienwissenschaftlerin Bleicher glaubt deshalb auch, dass Homeshopping Bestand haben wird. Die Einschaltquoten sind niedrig, aber die Kunden treu.

Geschäftsleute wissen, was sie an QVC haben. Designer Steffen Schraut hat noch 90 Sekunden, bis er live geht. Er streckt seine Arme aus, eine Assistentin cremt sie mit Bodylotion ein, damit die Haut glänzt. Gleich wird er wieder eine Stunde lang mit sehr viel Eifer für seine Hosen, Blusen und Blazer werben. Und es werden wieder hunderte Menschen anrufen, um sie zu kaufen. Die Show, die Steffen Schrauts Namen trägt, ist ein Erfolgsgarant für QVC. Die Nachricht, dass Schraut ausschließlich für einen Teleshoppingsender entwirft, hat in der Modebranche für Aufsehen gesorgt. Einzelhändler wie Peek & Cloppenburg dürfen seine Mode seitdem nicht mehr verkaufen.

Aus dem Schatten hinter den großen Kameras, wo die grellen Scheinwerfer nicht hinleuchten, kommt jetzt der Aufnahmeleiter hervor. Er ruft ins Getümmel: „Maz läuft, noch zehn Sekunden!“ Steffen Schraut ist da schon hinter der Bande verschwunden und rennt nun, da der Countdown abgelaufen ist, auf die Bühne. Vor ihm im Gleichschritt zwei Models im mittleren Alter, die seine Kleidung stolz präsentieren. Sie sehen selbstbewusst aus, also genau so, wie sich Schraut seine Kundinnen vorstellt.

Designer von Louis Vuitton

Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (5)

Pharrell Williams

„Wir interessieren uns dafür, wie man Mauern einreißt“

„Viele haben mich anfangs belächelt, aber mit meinem Schritt zu QVC habe ich alles richtig gemacht“, sagt Schraut nach der Show. Seine schwäbische Oma in Reutlingen habe früher immer Tupperware beim Teleshopping gekauft, das sei eine prägende Kindheitserinnerung. Eigentlich lief Schrauts Label im Einzel- und Onlinehandel gut. In fast jedem größeren Kaufhaus gab es seine Stücke. „Der unternehmerische Part meiner Arbeit hat immer mehr Raum eingenommen. Ich wollte wieder mehr Zeit für den kreativen Teil.“ Schraut steht seitdem vor der Kamera: „In den Liveshows sind Fehler erlaubt. Wenn ein Teil auf den Boden fällt, eine Wand einstürzt – der Kunde ist nur gespannt, wie man darauf reagiert.“

Heute hat er keinen Fehler gemacht, aber eine Menge Bestellungen reingeholt. Wie viele genau, will QVC nicht preisgeben. „Jeder will abliefern in seiner Sendung. Wenn das gekrönt wird durch einen tollen Umsatz, bin ich wahnsinnig glücklich.“ Steffen Schraut sagt, er bestelle mittlerweile auch selbst per Teleshopping. Zuletzt waren es Kerzen und Gläser für Freunde.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Drittanbieter freigeben

Teleshopping: Warum Shopping-TV auch heute noch funktioniert - WELT (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Kieth Sipes

Last Updated:

Views: 5478

Rating: 4.7 / 5 (47 voted)

Reviews: 86% of readers found this page helpful

Author information

Name: Kieth Sipes

Birthday: 2001-04-14

Address: Suite 492 62479 Champlin Loop, South Catrice, MS 57271

Phone: +9663362133320

Job: District Sales Analyst

Hobby: Digital arts, Dance, Ghost hunting, Worldbuilding, Kayaking, Table tennis, 3D printing

Introduction: My name is Kieth Sipes, I am a zany, rich, courageous, powerful, faithful, jolly, excited person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.